Ruby stellt mich vor immer neue Aufgaben: Je weniger neue Aufgaben er erhält, desto mehr Aufgaben erhalte ich. Oft ist es nicht einfach zu erkennen, ob ich ihm eine neue Aufgabe stellen sollte, um ein Problem zu lösen oder ob ich darauf bestehen sollte, eine bestimmte Aufgabe erst zu erfüllen, bevor es an die Nächste geht. Letzteres führt häufig zu Meinungsverschiedenheiten und die sind nicht immer förderlich für eine gute Zusammenarbeit und ein Voranschreiten in der Ausbildung. Man kann aber auch nicht bei jedem Problemchen gleich das Handtuch werfen und etwas anderes machen. Ein schöner Mittelweg ist es für Ruby und mich, zwar eine neue Aufgabe, aber mit gleichem Lerninhalt zu stellen. Daher haben wir mit der Langzügelarbeit begonnen.
Nach wenigen Minuten Langzügelarbeit war mir wieder einmal klar, wie schlau Ruby ist und dass das Ausbildungskonzept in der Akademischen Reitkunst das Pferd die Hilfen VERSTEHEN lässt, so dass es diese in anderem Kontext ebenfalls annehmen kann. Gleichzeitig musste Ruby sich aber so konzentrieren, was wir jetzt machen, dass er keine Zeit und auch keine Lust mehr hatte, sich über einen der Lerninhalte aufzuregen. Das tut er nämlich sonst gerne und regelmäßig. Vor allem endlose Wiederholungen von Dingen, die seiner Meinung nach völlig unwichtig sind, aber auch Anfragen, die ihn in diesem Moment überfordern, führen häufig zu regelrechten Ausrastern. Auch wenn ich mal wieder zu langsam für ihn bin und die Hilfen bereits denke, bevor ich sie wirklich ausführen kann, "kriegt er einen zu viel" und regt sich (völlig gerechtfertigt) über mich und meine Unzulänglichkeit auf. Nun war er aber so verblüfft über das neue Spiel Langzügelarbeit, dass er entweder nicht gemerkt hat, wenn ich zu langsam oder undeutlich war oder es gnädig übersehen hat, weil das Ganze so spannend war. Durch das Experiment Langzügel habe ich also eine Voraussetzung für eine wohlwollende und interessierte Arbeitseinstellung schaffen können - und ohne die ist es wirklich schwierig mit Ruby, er kann da recht ungemütlich werden.
Nun hatte ich ihn also begeistert und er hörte zu. Wir kamen in Kommunikation über die Hilfen. Indirekter Zügel innen und außen - Schulter lässt sich verschieben. Arbeit des inneren Hinterbeins (mit vollem Körpereinsatz meinerseits) mit äußerem indirektem Zügel - Ruby verstand und schenkte mir ein schönes Schulterherein. Positionswechsel nach außen, um das äußere Hinterbein zu arbeiten - und Ruby fiel in sein Muster, das wir schon seit Längerem versuchen zu ändern: Er fiel ohne Umschweife auf die inneren Schulter und drängte massiv nach innen von mir weg, ich konnte ihn jedoch mit dem inneren Zügel auffangen und einige Schritte schönes Travers hervorzaubern. Normalerweise hätten wir folgende Diskussion gehabt: Gerte zeigt auf innere Schulter "Nimm Deine Schulter raus!" - Rubys Laune kippt sofort "Nö, keinen Bock!" - "Schulter raus!" - Ohren werden angelegt und Reißzähne gefletscht "Mach ich, aber ich find es Sch****" usw. Erst nach Auflösen der Lektion bzw. oft erst durch eine Pause bei mir steigt Rubys Laune wieder. Warum war das jetzt nicht so? Darüber habe ich viel nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich Ruby ZU MIR HIN statt VON MIR WEG korrigieren konnte, da ich mich in der Außenposition befand. Warum hat das dann aber bisher nicht in der normalen Handarbeit von außen geführt funktioniert? Weil ich so schlecht Hilfen geben kann, wenn Ruby Headbanging betreibt. Je näher ich an seinen Kopf komme, desto schlimmer wird es. Er mag es einfach nicht, wenn man an seinem Kopf rumhantiert, selbst Putzen ist dort eine Zumutung und wird auf ca. zweimal jährlich beschränkt. Mit dem Langzügel war ich nun gehörig weit weg vom Kopf und Ruby fand es gut. So gut, dass seine Aufmerksamkeit positiv bleiben und er sich somit im Travers mental und körperlich richtig gut fühlen konnte. Die Tatsache, dass die Korrektur seiner Schulter zu mir hin stattfand, passte ihm gut, denn er mag gerne den Vollkontakt mit mir, außer am Kopf. Wenn er seinen Bauch gegen meinen schmiegen darf, fühlt er sich wohl. In diesem Fall durfte seine äußere Kruppe Kontakt haben und sich die Schulter auch zu mir nähern - toll! Dann noch ein kleines Touché auf die Schweifrübe und voíla, das Ganze geht sogar ein paar Schritte im Schulschritt! Wir haben beide gestrahlt wie zwei Honigkuchenpferde (wobei er einem solchen ähnlicher sieht als ich)!
Ist ja einfach, könnte man geneigt sein zu denken, aber nein, so einfach ist es leider nicht. Ein paar Trainingseinheiten später stellt Ruby meine Hilfen wieder in Frage oder weist mich darauf hin, dass ich sie zu langsam gebe. Oder zu doll, dann gibt es zur Strafe einen kleinen Tritt, damit ich beim nächsten Mal besser aufpasse. Er hat nach kurzer Zeit sein Selbstbewusstsein wiedergefunden, wedelt wie eh und je mit dem Kopf, wenn er sich über mich aufregt und kommt nur dann in eine schöne Form, wenn ich selber effizient meinen Körper nutze und die Hilfen entsprechend bei ihm ankommen. Es ist also doch "einfach" und es ist immer wieder dasselbe Thema: Die Lösung liegt in mir selbst. Und Ruby hilft mir auf dem Weg dahin. Dieser Weg wird weiterhin Langzügelarbeit beinhalten, aber auch andere Führ- und Longierpositionen. Weil wir nichts voneinander losgelöst betrachten können, weil es eben eine Gesamtheit ist, sich gemeinsam mit dem Pferd auszubilden und immer besser darin zu werden, eine Einheit zu bilden - ob nun körperlich oder geistig, im besten Fall beides! Durch den steten Wechsel der Arbeitsumstände und Aufgaben kann ich Ruby bei (guter) Laune halten und dabei die gleichen Themen bearbeiten und mich dem Ergebnis so aus verschiedenen Richtungen nähern. Wir werden immer mal wieder einen neuen Weg beschreiten (müssen), um aus alten Mustern ausbrechen und gemeinsam Spaß an der Arbeit haben können.
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